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La Marmotte 2010

Offiziell fährt Michael Schulz nicht für das Cycling Team Essen ... dennoch gehört er einfach irgendwie zu uns !
Anfang Juli nahm Michael beim französischen Marathonklassiker La Marmotte 2010 teil ! Die Route führt über die legendären Pässe Col du Glandon ( 1918 m ) - Col du Télégraph ( 1570 m) - Col du Galibier ( 2642 m ) und Col du Lautaret ( 2057 m) . Der Schlußanstieg ging dann über die "21 Kehren des Teufels" nach L'Alpe d'Huez ( 1880 m ). Hier Michael's beeindruckender Bericht - vielen Dank dafür !

Rennbericht von Michael Schulz

Von einem der auszog, das Murmeltier zu erlegen und ( fast ) als „Luis Trenker von Alpe d’Huez“ heimkehrte
So, das Rennen ist „gelaufen“ und mit neuen Erfahrungen, sehr vielen Erinnerungen und sehr, sehr dicken Beinen sitze ich wieder daheim. Rahmenbedingungen, wie z.B. die Anreise ( unendlich lang und unglaublich heiß ), das französische Frühstück ( auch am Renntag für’n hohlen Zahn ... ) oder die Preise in L’Alpe d’Huez ( hier hatten wir uns einquartiert ) ... geschenkt!
Dafür wohnten wir aber auch in Blickweite zum Messeplatz ( hier gab’s neue Rennschuhe ), Sportzentrum ( hier gab’s den Startsack ), Zieleinlauf ( hier gab’s Tränen ), und das sorgt für entsprechende Einstimmung.
Facts zu den Voraussetzungen: wir, d.h. mein Freund Ralph und ich, waren unheimlich heiß ! Kein Zweifel ... mit rund 7300 Trainingskilometern in 2010 und knapp unter 62 kg wollte ich endlich loslegen. Die Veranstaltung ist seit Monaten mit 7000 Startern ausverkauft, es galt 174 Kilometer und 5000 Höhenmeter zu überwinden. Die internationale Kategorieeinteilung der 4 Berge liest sich wie folgt: 1 - 1 - HC - HC. Ziel war es unter 9:15 Std. ins Ziel zu kommen, denn dann gibt es in meiner Altersklasse die „Urkunde D’or“ ( ... die goldene Ananas ). Seit Tagen beschäftigte mich vor allem auch das Wetter, denn vor ca. 2 Wochen wurde der Col du Galibier wegen Neuschnee kurzzeitig wieder gesperrt. Ab irgendeinem Punkt muss man sich aber dann auch auf den Veranstalter verlassen, denn das Rennen gibt es seit 1982 und sicher hat man dort Erfahrungen. Es sollte aber ein sonniger, ein sehr sonniger…..ein sehr, sehr sonniger Tag werden.

Der Start war unten im Tal, in Le Bourg-d’Oisans, um 7.30 h ( Zweite von 3 Gruppen ). Als wir um 6.10 h in Alpe d’Huez ( 1860 m ) aufbrechen ist die Sonne bereits aufgegangen, restlicher Frühdunst löst sich auf und ringsherum leuchten schneebedeckte, schroffe Bergriesen. Ich fahre in „kurz“, denn es ist bereits dort oben mild ... und unten schon fast warm. Nach 20 Minuten, 13 Kilometer und rund 1100 Höhenmeter sind wir unten, und die Straße füllt sich mit Radfahrern. Die Zuleitung zu den Startboxen ist gut organisiert, beschildert und mit Personal bestückt. Da das Rennen hauptsächlich von Holländern und nicht von Italienern besucht wird, ist es am Start und auch später im Feld angenehm ruhig und kaum hektisch. Wer lieber geschoben, bedrängt, auf der Grasnarbe überholt und dabei angebrüllt wird, startet besser in La Villa / Dolomiten ! :-)
Nach dem pünktlichen Start geht es auf den ersten 10 Kilometer flach, flott und gesittet ins Rennen. Ich denke, es sind viele „Wiederholungstäter“ dort, die wissen dass das „Beste“ ja noch kommt. Die Straßen sind durchgehend nicht gesperrt, aber es ist sehr viel Ordnungspersonal ( inkl. Gendarmerie ) eingesetzt und sorgt für einen ordentlichen ( möglichst gefahrlosen ) Ablauf. An dieser Stelle sei erwähnt, dass wir im Vorfeld einiges über die Veranstaltung ,Organisation und Durchführung gelesen hatten, dass uns etwas Bauchschmerzen bereitete, sich aber nicht bestätigte !
Nun kommt nach 10 Kilometer endlich (!) der erste Anstieg ! Ich merke sofort wie sehr ich mich darauf über Monate gefreut habe, endlich richtige Berge ! An dieser Stelle muss ich mich auch von Ralph verabschieden, der mit 102 kg bei stattlicher Größe nicht der „klassische Bergfahrer“ ist. Vor diesem ersten Anstieg, dem Col du Glandon ( 1924m ) hatte ich Respekt, denn er verläuft sehr ungleichmäßig, hat zwei kleine Gefälle und dann wieder Rampen von 10% ... und das alles nach einer besch…. Nacht ( wie immer ) und etwas Baguette. Die zu überwindenden 25 Kilometer Anstieg und 1100 Höhenmeter lassen sich aber doch ganz gut fahren, und so finde ich ins Rennen hinein. Um 9.22 h bin ich oben und muss Getränke auffüllen ... und wegbringen.
Die Labe ist / wirkt etwas unorganisiert wenn man neu ist und beim „Wegbringen“ trete ich mit den neuen, weißen Schuhen in Schafscheiße, was ich erst bemerke, als ich damit von den neuen, weißen Pedalen abrutsche. Ich hätte das vielleicht als „Zeichen“ werten können, hatte aber keine Zeit für so einen Schmonzes.
Es folgt ein Novum: Wir wurden vorher informiert, dass der Veranstalter aus Sicherheitsgründen die Zeitmessung von der Labe oben bis unten ins Tal aussetzt ! Auf der langen, schmalen Abfahrt mit ungezählten engen Kurven soll sich keiner den Hals brechen - hat wohl funktioniert. Nun kommt eine Passage die ich nicht mag. Etwa 25 Kilometer Überfahrt, wellig, Tempoverschärfung, Wind, Gruppenbildung, Gruppenauflösung ... und es ist schon sehr warm ! Unterwegs eine von vielen Zusatz-Wasser-Stationen ( Point de L’eau ), die ich gerne beanspruche.

Um 10.42 Uhr kommt der Einstig zum Col du Télégraphe ( 1570m ). Jetzt habe ich Spaß! Etwa 11 Kilometer und 850 Höhenmeter „knatter“ ich in 57 Minuten weg. An die Passhöhe kann ich mich leider nicht mehr erinnern ... Nach einer kurzen Abfahrt bin ich in Valloire und halte Ausschau nach der nächsten Labe. Die liegt hinter dem Ort, und was sich darüber endlos hochtürmt ist der Col du Galibier ( 2645m ), eine „anspruchsvolle Aufgabe“ für den späten Vormittag. Um mich herum befinden sich seit der ersten Passhöhe und besonders seit dem „Telegraphenritt“ zunehmend gelbe Startnummern. Das ist die 1. Startgruppe, die ab 7 Uhr eine halbe Stunde vor mir gestartet wurde. :-))
Als ich mit Blick nach oben kurz vor der Labe aus dem Sattel gehe, kneift’s im linken Oberschenkel. Das IST ein Zeichen und wesentlich schlechter als Schafscheiße am Schuh ! Viel trinken, kurz dehnen, Gel nehmen und nicht bekloppt machen lassen ... immer ganz wichtig. Dunkelgraue Wolken im Hochgebirge, da bleibt man besser daheim. Dafür ist es aber zu spät. 1200 Höhenmeter auf 17 Kilometer verteilt gilt es zu überwinden ... und auch die Angst vor einem Gewitter. Als aber die ersten dicken Tropfen fallen nehme ich grinsende Gesichter wahr, und mein eigenes gehört dazu. Regen? Abkühlung ! Jeder bekommt 5 Tropfen ! Ende ! Danach werden wir weiter gegrillt - Gnadenlos. Die Trinkflaschen sind kurze Zeit nach dem Befüllen warm wie ... Abkühlung sollen wir erst bekommen, als wir oben in den letzten Kehren des Galibier durch ablaufendes Schmelzwasser fahren - aber da sind wir ja noch lange nicht.
Eigentlich bin ich hier genau im meinem Terrain. Immer schön im Wiegetritt, eine Kehre nach der anderen, ständig überhole ich Mitstreiter. Einer von ihnen steht / hängt am Straßenrand über seinem Lenker, auf dem Trikot: Veloclub Bourg d’Oisans. Der Junge verkackt gerade auf seiner eigenen Hausstrecke. Auch nicht schön ...
Am Telegraphe wurde schon geschoben, hier geht man teilweise in Gruppen. Ich grinse nicht, denn das Kneifen in meinen Oberschenkeln nimmt zu, und die Strecke wird und bleibt steiler. Ein langer Treck zieht sich über ein ansteigendes Hochplateau Richtung Passhöhe. Noch 7,6, 5, 4 Kilometer. Kein Baum, kein Strauch. Im Abstand von 1 Kilometer stehen weiße Wegmarkierungen mit gelber „Haube“. Sie zeigen die Restkilometer bis oben, aktuelle Höhe und ... aktuelle Steigungsprozente ! Vielen Dank. Ich merke, dass ich bereits danach Ausschau halte. Da muss doch jetzt eine kommen. Hab’ ich eine übersehen? Wieso noch 4 Kilometer? Da stand doch vorhin schon „4 km“ !?!
Als ich mich in den letzten Kehren irgendwo im Schnee befinde, habe ich wohl eine Trittfrequenz von 30 und Muskelzucken von 50 p.M. - das ist ganz schlecht, das weiß sogar ich. Verstehen kann ich’s nicht - noch zu wenig getrunken, gegessen ? Um 13.36 h bin ich auf dem Galibier, und damit 36 Minuten später als geplant ( sofern man das ohne Streckenkenntnis kann ). 13 Uhr hier hätte nach meiner Rechnung bedeutet: 15 Uhr Bourg d’Oisans und ca. 1,5 Stunden Zeit für den letzten Aufstieg um meine Zeitvorgabe zu knacken. Da sind 36 Minuten sehr viel Holz. Dabei fühle ich mich gut, kann essen, trinken und habe keine Rückenschmerzen. Bis auf die ollen Oberschenkel alles prima. Ich nutze die Labe für Getränke und zum Dehnen. Ich denke auch an meine Vergleichstabelle „Streckenhärte“, mit dem Verhältnis der zu überwindenden Höhenmeter pro zu fahrendem Kilometer ( Marmotte 28,7 – Ötzi 23,9 ), könnte was Wahres dran sein.

Es kommt eine 45 Kilometer lange Abfahrt, bei der es von 2645 Hm auf 712 Hm hinunter geht - ein Wahnsinn. Besonders auch an diesem Tag, denn mit jedem Kilometer nach unten steigt die Temperatur. Ich bewege die Beine, versuche gleichmäßig und nicht zu kraftvoll zu treten, schüttel und massiere meine Beine - ich schwitze vom eigenen Fahrtwind !
Als sich eine Gruppe von 6 Fahrern bildet gehe ich aus dem Windschatten, denn dort ist es ja noch wärmer ! Ich nehme noch ein Gel und freue mich auf eine Cola an der letzten Labe. 2 kleine Gegenanstiege, ca. 60 Hm, bringen Schmerzen. Um mich herum hält sich der Spaß in Grenzen. Ich komme in Bourg d’Oisans an. Die Labe wirkt voll, jedoch sitzen / liegen die meisten herum und versuchen jeden noch so schmalen Streifen an Schatten zu nutzen. Die Sonne brennt regelrecht auf der Haut, und es ist „knallheiß“. Und es ist 14.55 Uhr - ich bin wieder in der Zeit ! Kopf unter den Wasserhahn, Flaschen auffüllen, Cola, Apfelmus ... nur flüssig geht noch.
Noch 13 Kilometer, noch 1100 Höhenmeter, noch 21 Kehren - DIE 21 Kehren !
Ich fahre auf die Straße zum letzten Anstieg, zu DEM Anstieg. Viele Leute stehen am Straßenrand und klatschen. Aus der Ebene biegt die Straße nach links ab und wirkt als hätte man sie an die Wand genagelt. Mit 10% Steigung geht’s los, dann wird’s richtig steil. Links, auf der Abfahrtseite, sitzen Zuschauer, die Hitze steht und auch bereits einige Fahrer. Ich finde ganz gut in meinen Rhythmus und versuche, mich zu einer ganz langsamen Fahrt zu zwingen. Ich rechne 2 mal, 3 mal, 5 mal durch und weiß, dass die Zeit reicht, auch wenn der Tacho mal nur eine 7 oder eine 8 anzeigt. Und ab La Garde, nach 4 Kilometer wird es „flacher“, zwischen 8 und 9%. Kehre 21, Kehre 20, Kehre 19 ... die Kehren sind ausverkauft ! Sie sind noch voller mit Rad“fahrern“ als die Straßenränder zwischen den Kehren. Nach und nach realisiere ich ein Bild des Grauens. Jeder sucht nach Schatten – es gibt keinen. Auf der Straße liegen die letzten Versuche, ein Gel zu sich zu nehmen ... und ab und zu ein Frühstück.
Ich überhole Fahrer und Fußgänger und nähere mich La Garde. Langsam kurbeln, schön langsam. In La Garde gibt es Wasser - aus Kränen, aus Eimern, aus Schläuchen, und die Leute stehen Schlange. Ich steige ab und mache mit. Das Wasser von der letzten Labe geht nur noch für Tee. Ich merke, dass ich etwas desorientiert hin und her gehe ... und dann bekomme ich Gänsehaut. Eine „von innen“; eine, die ich selten habe, das vorletzte Signal meines Kreislaufs. Trinken, Mütze nass machen und nicht ausflippen. Beim Dehnversuch macht der Muskel hinten rechts zu, ganz zu. Ich erschrecke vor meinem eigenen Schrei, stehe mit angewinkeltem Bein auf der Straße und habe keine Ahnung, was ich machen soll. Nach einigen Verrenkungen löst sich der Krampf. Ich schüttel mich kurz und steige wieder auf. Schön langsam weiter ...
Ich schaffe es kaum bis zur nächsten Kehre, dann der nächste Krampf. Oberschenkel vorne, abwechselnd rechts und links. Immer wieder muss ich anhalten. Zweimal schaffe ich es fast nicht rechtzeitig, meinen Schuh auszuklicken und stürze fast. Dehnen geht gar nicht mehr und Absteigen nun auch nicht, da ich mein Bein nicht mehr nach hinten über den Sattel schwingen kann. Plötzlich bekomme ich einen höllischen Krampf im rechten Oberschenkel und glaube wirklich, dass der jeden Moment platzt ! Erst als ich nach Kneten, Reiben, Massieren, Drücken und Wasser voller Verzweiflung mit der Handkante ich meine Kniekehle schlage, knickt das Bein ein und der Krampf löst sich leicht ... um dann an einem anderen Muskel wieder aufzutauchen. Super - ich kann zaubern !
Das geht nun x-mal so, Anwohner helfen uns mit Wasser aus. Einer hat eine Art Bewässerungsrohr aus dem Gemüsegarten quer über die Straße gehängt, und so müssen, nein dürfen (!) wir alle durch die Dusche fahren. Irgendwann kann ich das Rad so schräg halten, dass ich absteigen kann. Nun kann ich „endlich“ normal gehen ( wer möchte das nicht, beim Radrennen..? ). Andere Fahrer überholen mich mit ca. 4 km/h. Nicht alle schaffen es weit voraus. Die meisten um mich herum sitzen aber, oder liegen. Irgendwie gruselig. Nach ein paar Minuten rufe ich meine Frau zu Hause an. Ich muss mal mit jemandem reden ...
Plötzlich ist vor mir Tumult: ein paar Radfahrer springen zur Seite und rufen laut. Vor uns liegt ein Teilnehmer auf der Straße auf dem Rücken. Er wirkt benommen, fast ohnmächtig. Hilfe eilt herbei. Ich steige wieder auf. Nur ein paar Meter. Halte wieder an, bevor der Krampf kommt. Den linken Schuh klicke ich schon nicht mehr ein, um schnell genug vom Sattel zu kommen. Oben lauert der Fotograf in Kehre 2 ! Und im Ziel sicher auch ! Das darf nicht passieren, dass ich zu Fuß durchs Bild laufe. Auf keinen Fall !
Mittlerweile ist die Zeit von 9:15 Std. nicht mehr zu holen, das wird mir klar. Großer Mist. Noch ein paar Schritte und ich steige wieder auf. Es folgt eine Fahrt wie auf einem Drahtseil, mit einer Rasierklinge unterm Hintern und Eiern unter den Füßen. Wenn es irgendwo zuckt, sofort gegensteuern. Mein Tacho zeigt so kleine Zahlen wir noch nie, aber ich bin bereits zwischen Kehre 4 und 3. Längst kann ich die Häuser von Alpe d’Huez sehen. Das Schlimmste liegt hinter mir ... hoffe ich. Kehre 3. Ich arbeite mich weiter heran und werde kaum noch überholt. Ich nähere mich Kehre 2 und hoffe, dass ich dem Fotografen nicht vor die Füße falle. Es funktioniert. Jetzt nur nicht noch mal absteigen. Es stehen Leute am Straßenrand, gucken und klatschen. Es könnten ein paar mehr sein, aber ich könnte ja auch etwas früher dort sein, is’ klar.
Ich passiere das erste Banner „Finish - Arrivo - Ziel“. Das ist noch nicht meins. Ein Schlenker durch den Ort, noch ein paar Höhenmeter, die letzte Kuppe, ich sehe das Ziel und Hunderte von Menschen, der Kreisverkehr und dann sitzt auch dort der Fotograf. Ein letztes „Piep“ für die Zeitnahme, es ist 16.55 Uhr ( Gesamtzeit 9:24:50 Std. ) ... und ich bin im Ziel ! Und ich sitze auf dem Rad ! 10 Minuten früher und es gäbe jetzt Freudentränen - so gibt es leider ( zunächst ) nix. Ich bin fertig !

Ich rolle direkt aus dem Zielgelände Richtung Hotel, das nur 50 Meter entfernt liegt. Hoffentlich muss mir niemand vom Rad helfen. Deutschland führt bereits 1:0 gegen Argentinien, und ich kann die zweite Halbzeit vor dem TV nutzen, um mir noch dreimal so richtig den Frust von der zu Seele brüllen ! Das tut sehr gut. Ich denke an Ralph und schreibe ihm per SMS dass er nun sein Deutschlandtrikot in der Auffahrt anziehen könne. Dafür hatte er es nämlich den ganzen Tag herumgeschleppt. Da ich zum Duschen meine Beine über einen Wannenrand heben muss, verschiebe ich das Ganze auf später. Ich schlürfe etwas Magnesium und gehe mit Fotoapparat ins Ziel und warte auf Ralph. Nach einigen Minuten klingelt mein Handy und er ist dran. Im Ziel kann er eigentlich noch nicht sein ... oder ?
Es ist 18.20 Uhr, er fragt zunächst nach dem Endergebnis. Dann stockt das Telefonat etwas, denn er muss mir mitteilen, dass er das Ziel nicht erreichen kann ! Er steht unten in Le Bourg d’Oisans und ist so platt dass er die Kurbel nicht mehr treten kann, vor Krämpfen. Da es keinen Besenwagen gibt, bzw. erst ab 20.15 Uhr eingesammelt wird, bittet er mich ihn mit dem Auto zu holen, was ich sofort mache. Auf dem Weg nach unten ist der Anblick noch schlimmer. Zunächst ärgere ich mich darüber, dass ich den Fotoapparat nicht mitgenommen habe, aber nach einigen Minuten finde ich Fotos hiervon pietätlos. Jetzt bemerke ich auch, wie viele Helfer vom Roten Kreuz hier unterwegs sind. In den Kehren sitzen die „Kollegen“ und kämpfen mit sich selbst. Es wird telefoniert, Autos halten, Räder werden eingesammelt. Fahrer auch. Es wird eng, denn ein Krankenwagen bahnt sich den Weg. Unten steht Ralph und ist total fertig. Sein Ansinnen, mir eventuell noch etwas entgegen zu fahren, hatte er nach ca. 5 Umdrehungen im Anstieg abgebrochen. No Way ! Und selbst er, als erfahrener 24-Stunden-Fahrer und vor allem Ötztaler-Finisher ist beeindruckt und entsetzt von den Bildern die er in der Auffahrt sieht. Und wieder müssen wir bremsen, weil ein Teilnehmer auf der Straße liegt und Hilfe benötigt. Es ist schon absurd ...
Als wir nach 21 Uhr im Zielraum beim Abendbrot sitzen, wird der letzte Finisher angekündigt. Die Fahrzeiten liegen bei weit über 13 Stunden und es ist fast dunkel. Wenn ich bedenke, dass noch über 3000 Teilnehmer nach mir ins Ziel gekommen sind, und über 1500 Leute das Ziel gar nicht erreicht haben ... Hätte nicht gedacht, dass es so schwer zu erlegen sein wird, das Murmeltier.

P.S.
Die Auffahrt nach L’Alpe d’Huez ist grundsätzlich sehr schön, und ich fahre sie sehr gerne. „Hammerhart“ wird sie erst durch die vorausgehende Strecke. 2 Tage nach dem Rennen sind wir zunächst ( in der Nähe ) auf den Col de L’Iseran geradelt ( 2770 m ). Danach habe ich mir die Auffahrt noch mal „vorgeknöpft“, abends um 20.20 Uhr, bei 19° C, kaum noch Verkehr. Nach selbstgemessenen 56:56 min. war ich oben unter dem Zielbanner - und hatte meinen Seelenfrieden ein bisschen zurück. :-))